Totholzmanagement im Sihlwald

Im Zusammenhang mit Totholz und alten Bäumen ist die Gefährdung von Waldbesuchern ein wichtiges Thema. Dass Sicherheitsaspekte und viel (stehendes) Totholz in der Praxis miteinander vereinbar sind, zeigt das Beispiel Sihlwald.

Interview mit Christoph Spuler, Förster im Wildnispark Zürich-Sihlwald

Wie geht der Wildnispark Zürich mit dem Thema "Totholz" um?

Seit dem Jahr 2000 schlagen wir im Sihlwald kein Holz mehr. Bäume, die absterben oder umfallen, bleiben wo sie sind. Am stehenden und liegenden Totholz sowie an den damit assoziierten Lebewesen können unsere Besucher mehr und mehr den Unterschied zu einem herkömmlichen Wirtschaftswald erkennen. Es gibt im Sihlwald bereits heute einige Orte, wo man die sich entwickelnde Wildnis erleben kann.

Totholz ist für den Wald und viele seiner Bewohner ein sehr wichtiger Bestandteil. Allerdings sind alte und tote Bäume auch nicht ganz ungefährlich. Morsche Äste drohen abzubrechen und stehende tote Bäume können gar umfallen. Da es im Sihlwald viele Besucher gibt, besteht ein gewisses Sicherheitsrisiko. Weil wir Unfälle vermeiden wollen, fällen wir vorsorglich Bäume, die auf begehbare Wege oder auf eine andere Infrastruktur fallen könnten. Dies geschieht möglichst so, dass der Eindruck entsteht, der Baum sei auf natürliche Art umgefallen. Auch diese Bäume bleiben selbstverständlich im Wald liegen.

Wir erkennen Sie einen gefährlichen Baum?

Äussere Anzeichen, die auf kranke oder absterbende Bäume hindeuten, sind zum Beispiel auffallend schütterer Wuchs oder Pilzbefall. Bäume, die nur inwendig morsch sind, lassen sich in der Regel nicht erkennen. Eine Ausnahme ist die Rotfäule, die häufig einen glockenförmigen Wuchs am Stammfuss verursacht.

Besonderes Augenmerk richten wir auf Bäume, die aus irgend einem Grund schräg stehen. Hier ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie bei einem Sturm oder nach starkem Schneefall auf eine von uns eingerichtete Infrastruktur (Gebäude, Wege, Sitzbank, etc.)  fallen. Auch Bäume mit morschen Ästen können unsere Waldbesucher gefährden.

Wann wird ein Baum gefällt?

Wenn ein gefährlicher Baum auf einen Weg oder auf eine andere Infrastruktur fallen kann, wird er gefällt. Entscheidend ist also die Baumhöhe und seine Entfernung zum nächsten Weg. Hängt ein Baum hingegen deutlich vom Weg in den Wald, so kann er auch bei geringerem Abstand stehen bleiben. Wir versuchen, gefährliche Bäume jeweils möglichst früh zu fällen. Wenn die Holzfasern noch einigermassen intakt sind, lässt sich der Baum sicherer zu Boden bringen.

Oft fällen wir die Bäume aber nicht ganz, sondern kappen sie nur auf einer bestimmten Höhe. Dadurch entsteht Lebensraum für Spechte und andere Spezialisten, die auf stehendes Totholz angewiesen sind (siehe Foto). Wir entfernen auch dürre Äste einer Baumkrone, wenn diese auf eine Infrastruktur zu fallen drohen.

Auf welcher Höhe kappen Sie die Bäume?

Die Höhe hängt wiederum von der Entfernung des Baumes zum Weg ab. Wir kappen die Bäume so, dass die übrig bleibenden Stämme nicht auf die Wege fallen können, das heisst maximal auf der Höhe, die der kürzesten Distanz zum nächsten Weg entspricht.

Zum Fällen steigt ein Forstwart mit Steigeisen den Baum hoch und befestigt die Seilwinde des Traktors so hoch oben, wie es geht. Weiter unten sägt er dann auf der gewünschten Höhe den Fällschnitt, lässt dabei aber noch ein sogenanntes Band stehen. Sobald der Forstwart sich wieder am Boden und ausserhalb des Fällbereichs befindet, wird der obere Teil des Baumes mit der Seilwinde umgezogen.

Bäume fällen ist bei vielen Leuten unpopulär. Wie informieren Sie die Waldbesucher über den Sinn dieser Massnahmen?

In der Regel müssen wir unseren Besuchern eher erklären, warum wir keine Bäume mehr fällen. Viele Leute stören sich daran, dass wir das Holz nicht nutzen und dadurch eine "Unordnung" im Wald herrscht. Manchmal hilft es, wenn wir den Leuten vermitteln, wie wichtig Totholz für viele Organismen des Waldes ist.

Aber auch das Fällen von abgestorbenen Bäumen muss manchmal erklärt werden. Viele Leute verstehen nicht, dass wir in einem Naturschutzgebiet solche Massnahmen durchführen. Wir erklären dann, dass dies aus Sicherheitsgründen notwendig ist. Weiter argumentieren wir, dass das Holz trotzdem im Wald liegen bleibt und dass nur Bäume entlang von Wegen gefällt werden. Alle anderen toten Bäume bleiben stehen, bis sie von selbst umfallen. In der Brutzeit der Vögel findet in der Regel keine Sicherheitsholzerei statt.

Unsere Massnahmen stossen grundsätzlich auf Verständnis. Es ist ja nicht so, dass man im Sihlwald lauter gekappte und gefällte Bäume sieht. Und nicht alle Besucher merken, dass die Bäume nicht natürlicherweise umgefallen sind.

Was kosten die Sicherheitsmassnahmen bezüglich Totholz im Sihlwald?

Wenn uns bei den wöchentlichen Reviergängen stehendes, gefährliches Totholz auffällt, erfassen wir es in einem Plan mit einem Vermerk zur Notwendigkeit sowie der Dringlichkeit der Massnahme. Um gefährliche dürre Äste in Baumkronen herunterzuholen, mieten wir jeweils eine Hebebühne. Alles in allem wenden wir jährlich ca. 100 Mannstunden auf. Zusammen mit den entsprechenden Maschinen für die Ausführung verursacht dies Kosten von gegen 10'000.- Franken pro Jahr.

Mit Ausnahme der Kernzone ist das Betreten des Waldes auch abseits der Wege erlaubt. Wer ist haftbar, wenn ein Besucher von einem herunterfallenden toten Ast verletzt wird?

Grundsätzlich trifft die Waldbesitzer keine Bewirtschaftungspflicht und Erholungssuchende oder andere Personen betreten den Wald immer auf eigenes Risiko. In aller Regel haften Geschädigte deshalb selbst für im Wald erlittene Schäden. Dies trifft in besonderem Mass zu, wenn sie elementare Sorgfaltsregeln missachten, beispielsweise bei Sturm im Wald spazieren oder Warnschilder ignorieren.

Eine Ausnahme davon bilden die besonderen Konstellationen der Werkeigentümerhaftung (OR Art. 58), der Grundeigentümerhaftung (ZGB Art. 679) oder der Verschuldenshaftung (OR Art. 41 ff). Aufgrund der Werkeigentümerhaftung sichern wir die Wege im Sihlwald.

Was empfehlen Sie Waldeigentümern, die in ihrem Wald gerne Totholz fördern möchten, aber aus Sicherheitsgründen darauf verzichten?

Es gibt verschiedene Arten von Totholz: stehendes Totholz, liegendes Totholz, Totholz in Baumkronen, etc. Wenn man in bewirtschafteten Wäldern stehendes Totholz fördern möchte, so empfiehlt es sich, gezielt Gebiete als sogenannte Totholzinseln auszuscheiden.

Stehendes Totholz birgt bei Holzschlägen allerdings eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Wenn der Forstwart einen Baum fällt, in dessen Nähe ein Dürrständer steht, so kann das stehende Totholz durch direkten oder indirekten Kontakt mit dem fallenden Baum ebenfalls umstürzen. Dabei besteht die Gefahr, dass das unkontrolliert fallende Totholz den Motorsägenführer trifft und verletzt. In einem Gebiet mit viel stehendem Totholz sollte deshalb der Einsatz eines Harvesters in Betracht gezogen werden. In jedem Fall gilt: im Zweifelsfall den Dürrständer fällen und als Totholz liegen lassen.

Vielen Dank für das Interview.

Was macht den Sihlwald so besonders?

Der national anerkannte Naturerlebnispark "Wildnispark Zürich-Sihlwald" liegt mitten im Ballungsraum Zürich. Er bildet mit Zimmerberg, Reppischtal und der ganzen Albiskette den grössten zusammenhängenden Buchenmischwald im Schweizer Mittelland. Die durch Gletscher geformte Landschaft wechselt von steilen Abhängen und Schluchten zu Riedwiesen und kleinen Waldseen, und wir erleben sie heute als reichhaltiges und abwechslungsreiches Naherholungsgebiet.

Seit dem Jahr 2000 entwickelt sich der Sihlwald zu einem Naturwald ohne menschliche Eingriffe. Ein wichtiger Bestandteil ist dabei das Totholz, welches vielen Pflanzen und Tieren als Nährboden und Lebensraum dient.