Totholz im Natur- und Urwald

In nicht oder nicht mehr bewirtschafteten Wäldern wird früher oder später alles Holz vor Ort zersetzt. Die Durchschnittsmengen von totem Holz in Natur- und Urwäldern sind deshalb Referenzwerte, wieviel Totholz es an einem bestimmten Standort von Natur aus gibt. In anderen Worten: wie viel Totholz an diesem Standort überhaupt langfristig anfallen kann (vgl. Kasten Einfluss des Standorts). Mit Hilfe solcher Referenzwerte lässt sich dann zum Beispiel abschätzen, wie hoch an einem vergleichbaren Standort der Einfluss der Waldbewirtschaftung auf die Totholzmenge ist.

Totholz im Laufe der natürlichen Waldentwicklung

Totes Holz entsteht in Urwäldern durch das langsame Absterben der Bäume (Alterstod, Pilz- oder Insektenbefall), durch Naturereignisse (Windwurf, Waldbrand, Erdrutsch, Blitzschlag, etc.) oder durch den Konkurrenzdruck im Kronenbereich (Lichtmangel).  Bereits in frühen Entwicklungsstadien bildet sich dünnes Totholz, denn der Kampf ums Licht führt in Jungbeständen zum Tod konkurrenzschwacher Bäume sowie zum Absterben von Ästen, die nicht mehr ausreichend Sonnenlicht erhalten. Totholz starker Dimensionen fällt hingegen naturgemäss erst in späteren Entwicklungsstadien an.

Ohne die oben erwähnten Naturereignisse entsteht gemäss dem Mosaik-Zyklus-Konzept in der natürlichen Entwicklung eines Waldbestandes das meiste Totholz nach der Optimalphase (Scherzinger 1996, Abb. 1). Die höchsten Totholzmengen gibt es in der Zerfall- und Zusammenbruchsphase. Mit dem Aufkommen eines Jungwaldes nimmt das Totholz im Laufe der Jahrzehnte wieder ab. Das Minimum an totem Holz erreicht ein Waldbestand in der Schlusswald- und Optimalphase, weil das Totholz des Zusammenbruchs zu diesem Zeitpunkt meist schon zersetzt ist und im Jungwald auf der selben Fläche nur wenig neues Totholz hinzugekommen ist.

Da bei der forstwirtschaftlichen Nutzung die Bäume normalerweise spätestens am Ende der Optimalphase geschlagen und abtransportiert werden, durchlaufen Wirtschaftswälder die Alters- und Zerfallsphasen kaum mehr. Aus diesem Grund fehlen ab einer gewissen Nutzungsintensität oft alte, zerfallende Bäume, und die Totholzmenge bleibt in der Regel dauerhaft gering. mehr dazu

Totholzvolumina erheben

Innerhalb eines Urwaldes variieren die Totholzmengen je nach Entwicklungsstadium der einzelnen Bestände stark (Abb. 1). Während an einem Ort nach einem Windwurf grosse Mengen totes Holz herumliegen, kann es unweit davon entfernt einen Waldteil in der Optimalphase geben, der praktisch frei von Totholz ist. Betrachtet man eine genügend grosse Waldfläche, so bedeutet das, dass es im Laufe der natürlichen Entwicklung eines Waldes zu jeder Zeit kleinere Teilflächen gibt, die kaum totes Holz aufweisen. Gleichzeitig befinden sich andere Teilflächen in der Zerfallsphase und weisen dementsprechend viel abgestorbenes Holz auf. Je kleinflächiger die Verjüngungsprozesse in einem Wald ablaufen, desto weniger ausgeprägt zeigen sich diese Unterschiede.

Weil die vollständige Messung des Totholzes auf einer grossen Waldfläche viel zu aufwendig wäre, finden Totholzinventuren üblicherweise mit Hilfe von Stichproben statt. Dabei gibt es aus dem oben genannten Grund in der Regel sehr grosse Unterschiede zwischen den verhältnismässig kleinen Stichprobeflächen, je nachdem in welcher Waldentwicklungsphase sich diese Flächen befinden. Wählt man jedoch genügend Stichproben und berücksichtigt man eine genügend grosse Waldfläche, so bildet der Mittelwert aller Stichproben die effektive Totholzmenge verlässlich ab. Die räumliche Skala, auf der man Totholz misst, ist also sehr entscheidend für das Ergebnis!

Totholzvolumina in europäischen Natur- und Urwäldern

Die nachfolgenden Tabellen enthalten gemessene Totholzvolumina aus der Literatur. Sie sollen verschiedene Totholzmengen in Nadelwäldern, Mischwäldern und Buchenwäldern beispielhaft zeigen und sind in keiner Weise abschliessend. Die Zahlen stammen aus Urwald- und Naturwaldreservaten und schwanken zwischen 15 m3 und knapp 400 m3. Neben der unterschiedlichen Wüchsigkeit der Waldstandorte können folgende Gründe die grossen Unterschiede erklären:

  • Waldreservate sind zu "jung": Wälder, die früher vom Menschen genutzt wurden, sind auch nach Jahrzehnten ohne forstlichen Eingriff in der Regel noch von der ehemaligen Holznutzung beeinflusst. Es bräuchte zumindest eine Baumgeneration, also mehrere Jahrhunderte, um diesen Effekt vollständig zu neutralisieren.
  • Waldreservate sind zu klein: Viele Waldreservate sind verhältnismässig klein. Oft sind sie kleiner als die Fläche, die nötig wäre, um die beschriebene Variabilität der Totholzmengen infolge der verschiedenen Sukzessionsstadien auszugleichen. In kleinen Waldreservaten misst man deshalb je nach dem überwiegenden Entwicklungsstadium zu viel oder zu wenig Totholz im Verhältnis zum langfristigen Mittelwert. Im Urwaldreservat Derborcene gibt es zum Beispiel mit 389 m3/ha sehr viel Totholz, weil auf der untersuchten Fläche der Sturm Vivian 1990 viele Bäume zum Absterben gebracht hatte.
  • Weil Totholzinventuren nicht standardisiert sind, wird nicht immer die gleiche Aufnahmemethode angewendet. Insbesondere bei der Erhebung des liegenden Totholzes gibt es bedeutende Unterschiede.

Aus diesen Gründen ist es schwierig, Totholzmengen von Natur- und Urwäldern miteinander und untereinander zu vergleichen.

Tabelle 1 - Beispiele von gemessenen Totholzvolumina in Nadelwäldern

 Waldtyp vorherrschende
Waldgesellschaft, Verband
Ort lebender Vorrat (LV) Totholzmenge TM (stehend und liegend) TM/LV Quelle
Fichtenwald (Naturwald) Sorbeto-Piceetum Hohe Tatra, Slowakei 427 m3/ha  56 m3/ha  13 % Korpel (1997b)
Fichtenwald (Naturwald) Sorbeto-Piceetum  Babia hora, Slowakei 366 m3/ha 137 m3/ha  38 % Korpel (1997b)
Fichtenwald (Naturwald) Sorbeto-Piceetum Kosodrevina, Slowakei 619 m3/ha 131 m3/ha  22 % Korpel (1997b)
Fichtenwald (Naturwald) Sorbeto-Piceetum Kotovy zlab, Slowakei 619 m3/ha 131 m3/ha  21 % Korpel (1997b)
Fichten-Tannenwald (Urwald)   Derborence, Schweiz 435 m3/ha 389 m3/ha 89 % Herrmann et al. (2012)

Tabelle 2 - Beispiele von gemessenen Totholzvolumina in Mischwäldern

 Waldtyp vorherrschende
Waldgesellschaft, Verband
Ort lebender Vorrat (LV) Totholzmenge TM (stehend und liegend) TM/LV Quelle
Buchen-Fichtenwald
(Naturwald)
Fageto-Piceetum Skalna alpa, Slowakei 383 m3/ha 54 m3/ha 14 % Korpel (1997b)
Ahorn-Fichtenwald (Naturwald) Acereto-Piceetum Hohe Tatra, Slowakei  606 m3/ha 147 m3/ha  24 % Korpel (1997b)
Ahorn-Fichtenwald (Naturwald) Acereto-Piceetum Polana, Slowakei 556 m3/ha  183 m3/ha 33 % Korpel (1997b)
Buchen-Tannenwald (Naturwald) Fageto-Abietum Hroncokovy gun, Slowakei  542 m3/ha 181 m3/ha  34 % Korpel (1997b)
Tannen-Buchenwald (Urwald) Omphalodo-Fagetum Čorkova Uvala, Kroatien 753 m3/ha 291 m3/ha 39 % Saniga et al. (2011)
Tannen-Buchenwald (Urwald) Abieto-Fagetum Dobroc, Slowakei 687 m3/ha  256 m3/ha 37 % Saniga et al. (2011)
Tannen-Buchenwald (Urwald) Abieto-Fagetum Dobroc, Slowakei 727m3/ha  280 m3/ha  38 % Korpel (1997b)
Tannen-Buchenwald (Naturwald) Abieto-Fagetum Stuzica, Slowakei  647 m3/ha  108 m3/ha 17 % Korpel (1997b)
Nadelholz-Buchenwald (Naturwald) Fagetum abietino-piceosum Pilsko, Slowakei 695 m3/ha 50 m3/ha  7 % Korpel (1997b)

Tabelle 3 - Beispiele von gemessenen Totholzvolumina in Buchenwäldern

 Waldtyp vorherrschende
Waldgesellschaft, Verband
Ort lebender Vorrat (LV) Totholzmenge TM (stehend und liegend) TM/LV Quelle
Buchenwald (Urwald) Fagetum dentariosum,
Fagetum asperulosum
Uholka, Ukraine 582 m3/ha 163 m3/ha 28 % Commarmot et al. (2013)
Buchenwald (Urwald) Fagetum asperuletosum Mirdita, Albanien  559 m3/ha 40 m3/ha 7 % Tabaku (2000)
Buchenwald (Urwald) Fagetum asperuletosum Puka, Albanien 781 m3/ha 32 m3/ha 4 % Tabaku (2000)
Buchenwald (Urwald) Fagetum asperuletosum Rajca, Albanien 807 m3/ha 86 m3/ha 11 % Tabaku (2000)
Buchenwald (Naturwald) Galio-Fagetum Heilige Hallen, Deutschland 514 m3/ha  198 m3/ha 39 % Tabaku (2000)
Buchenwald (Naturwald) Luzulo-Fagetum Limker Strang, Deutschland  508 m3/ha 15 m3/ha 3 % Tabaku (2000)
Buchenwald (Urwald) Fagetum typicum Badin, Slowakei 805 m3/ha  268 m3/ha  33 % Korpel (1997b)
Buchenwald (Urwald)  Eu-Fagenion Badin, Slowakei 681 m3/ha  345 m3/ha 51 % Kucbel et al. (2011)  
Buchenwald (Naturwald) Fagetum typicum Stuzica, Slowakei 569 m3/ha  108 m3/ha 19 % Korpel (1997b)
Buchenwald (Naturwald) Eu-Fagenion Stuzica, Slowakei  585 m3/ha 111 m3/ha 19 % Kucbel et al. (2011) 
Buchenwald (Naturwald) Fagetum typicum Havesova, Slowakei 705 m3/ha  119 m3/ha 17 % Korpel (1997b)
Buchenwald (Naturwald) Eu-Fagenion Havesova, Slowakei 664 m3/ha 133 m3/ha  20 % Kucbel et al. (2011) 
Buchenwald (Naturwald) Fagetum pauper Rozok, Slowakei 778 m3/ha  201 m3/ha 26 % Korpel (1997b)
Buchenwald (Naturwald) Eu-Fagenion Rozok, Slowakei 744 m3/ha 154 m3/ha 21 % Kucbel et al. (2011) 
Buchenwald (Naturwald) Fagetum pauper Vihorltsky prales, Slowakei 490 m3/ha  65 m3/ha 13 % Korpel (1997b)
Buchen-Edellaubwald (Naturwald)  Querceto-Fagetum acerosum Rastun, Slowakei  527 m3/ha  70 m3/ha 13 % Korpel (1997b)
Buchenwald (Naturwald) Eu-Fagenion Rastun, Slowakei   473 m3/ha 91 m3/ha 19 % Kucbel et al. (2011) 
Buchen-Edellaubwald (Naturwald)   Josenwald, Schweiz 522 m3/ha 129 m3/ha 25 % Herrmann et al. (2012)
Eichen-Buchenwald (Naturwald) Querceto-Fagetum Sitno, Slowakei 594 m3/ha  103 m3/ha 17 % Korpel (1997b)

Tabelle 4 - Beispiele von gemessenen Totholzvolumina in übrigen Laubwäldern

 Waldtyp vorherrschende
Waldgesellschaft, Verband
Ort lebender Vorrat (LV) Totholzmenge TM (stehend und liegend) TM/LV Quelle
Eichenwald (Naturwald) Fageto-Quercetum Kasivarova, Slowakei 688 m3/ha  113 m3/ha 16 % Korpel (1997b)
Eichenwald (Naturwald) Corneto-Quercetum Boky, Slowakei 384 m3/ha  57 m3/ha 15 % Korpel (1997b)
Buchen-Ahornwald (Naturwald)   St. Jean, Schweiz 611  m3/ha 52 m3/ha  9 % Herrmann et al. (2012)
Erlenwald (Naturwald) Saliceto-Alnetum Jursky Sur, Slowakei 696 m3/ha 19 m3/ha 3 % Korpel (1997b)
Erlenwald (Naturwald) Betuleto-Alnetum Hohe Tatra, Slowakei 256 m3/ha  77 m3/ha 30 % Korpel (1997b)

Links und Dokumente

  • Commarmot, B.; Brändli, U.-B.; Hamor, F.; Lavnyy, V. (Red.) (2013): Inventory of the Largest Primeval Beech Forest in Europe. A Swiss-Ukrainian Scientific Adventure.  Birmensdorf, Swiss Federal Research Institute WSL; L'viv, Ukrainian National Forestry University; Rakhiv, Carpathian Biosphere Reserve. 69 pp.
  • Herrmann S, Conder M, Brang P. (2012): Totholzvolumen und -qualität in ausgewählten Schweizer Naturwaldreservaten. Schweiz Z Forstwes 163: 222-231.
  • Korpel, S. (1995): Die Urwälder der Westkarpaten. Gustav Fischer Verlag. Stuttgart. 310 S.
  • Korpel, S. (1997a): Erkenntnisse über Strukturdynamik und Entwicklungsprozesse der Urwälder in der Slowakei und ihre Anwendung in der naturnahen Waldwirtschaft. Beitr. Forstwirtsch. u. Landschaftsökologie 31, 151-155.
  • Korpel, S. (1997b): Totholz in Naturwäldern und Konsequenzen für Naturschutz und. Forstwirtschaft. Beitr. Forstwirtsch. u. Landsch.ökol. 31 (1997) 4, 151-155.
  • Kucbel, S.; Saniga M.; Jaloviar, P.; Vencurik, J. (2012): Stand structure and temporal variability in old-growth beech-dominated forests of the northwestern Carpathians: A 40-years perspective. Forest Ecology and Management 264, 125-133.
  • Saniga, M.; Kucbel, S.; Anić, I.; Mikac, S.; Prebeg, M. (2011): Structure, growing stock, coarse woody debris and regeneration processes in virgin forests Dobroč (Slovakia) and Čorkova Uvala (Croatia). Beskydy, 2011, 4 (1): 39–50.
  • Scherzinger, W. (1996): Naturschutz im Wald: Qualitätsziele einer dynamischen Waldentwicklung. Praktischer Naturschutz. Stuttgart (Verlag Eugen Ulmer). ISBN 3-8001-3356-3.
  • Tabaku, V. (1999): Struktur von Buchen-Urwäldern in Albanien im Vergleich mit deutschen Buchen-Naturwaldreservaten und -Wirtschaftswäldern. Cuvillier Verlag, Göttingen, 206 S.