Habitatbäume im Wirtschaftswald

Die Erhaltung von Habitatbäumen soll einen integralen Bestandteil aller forstwirtschaftlichen Tätigkeiten wie Pflege, Durchforstung und Holzernte darstellen. Aus diesem Grund sollen konkrete Hinweise zu Selektion, Anzahl und Verteilung dieser Bäume in die operationellen Leitlinien aufgenommen werden. Hier folgen einige wichtige Hinweise bezüglich Ausweisung der Bäume, deren Verteilung im Waldbestand und ihrer Berücksichtigung im Waldbau.

Baum

  • Der Fokus beim Erhalt von Habitatbäumen soll auf alten Bäumen liegen, da der Baumdurchmesser positiv mit der Anzahl Mikrohabitaten korreliert und die grössten Bäume die höchste Diversität an Mikrohabitaten aufweisen (Vuidot et al. 2011, Larrieu et al. 2017). Wird für Buchen der Mindestdurchmesser von 50 cm und für Tannen 65 cm unterschritten, können nicht alle Mikrohabitattypen erhalten werden (Larrieu et al. 2014a). Ab 90 cm Durchmesser (Buche) und 100 cm (Tanne) tragen die Bäume hingegen markant mehr Mikrohabitate als kleinere Bäume (Larrieu & Cabanettes 2012). Das Bundesamt für Umwelt definiert einen Mindestbrusthöhendurchmesser von 50 cm (Laubholz) bzw. 70 cm (Nadelholz) als Qualitätsmerkmale im Hinblick auf eine finanzielle Unterstützung.
  • Besondere Aufmerksamkeit soll den seltensten Mikrohabitaten geschenkt werden (Pilzfruchtkörper auf lebenden Bäumen, Spalten und Risse, Saftflüsse sowie Dendrotelme) sowie denjenigen, die sehr lange Zeit brauchen, um sich zu entwickeln (z.B. grosse Mulmhöhlen) (Larrieu et al. Deconchat, 2014a).
  • Für Aufnahmen von Habitatbäumen für verschiedenste Zwecke empfehlen wir, die Typologie nach Larrieu et al. (2018)  mit den jeweiligen Schwellenwerten zu verwenden. Je nach Zweck sollen 7 Formen, 15 Gruppen oder 47 Typen unterschieden werden.
  • Um den Erhalt von Habitatbäumen über lange Zeit zu gewährleisten, empfehlen wir, diese im Feld zu markieren sowie die Koordinaten und weitere Merkmale (Durchmesser, Baumart, usw.) aufzunehmen. Nur so ist es auch für künftige lokale Entscheidungsträger möglich, Habitatbäume in der forstlichen Planung zu berücksichtigen.

Waldbestand

  • Auf Bestandsebene sollen aus ökologischer Sicht mindestens fünf bis zehn Habitatbäume pro Hektar erhalten werden. Bis 2030 sollen gemäss Bundesamt für Umwelt drei bis fünf Habitatbäume pro Hektar im Bestand angestrebt werden.
  • Eine Kombination aus aggregierten und verteilten Habitatbäumen wird im Allgemeinen empfohlen. Falls mehrere Habitatbäume nahe beeinander stehen, ist es für die zukünftige Bewirtschaftung des Bestands von Vorteil, eine Gruppe von Habitatbäumen zu erhalten (u.a. Sicherheit bei der Durchführung der Holzschläge).

Waldbau

  • Bei jedem waldbaulichen Eingriff soll seine Auswirkung auf Mikrohabitate betrachtet und die Ausscheidung künftiger Habitatbäume geplant werden. Wenig vitale oder qualitativ schlechte Bäume sollen bei der Durchforstung nicht entfernt werden: dies sind zukünftige Habitatbäume. Solche Habitatbaumanwärter sollen im Feld gekennzeichnet werden. Durch die bisher übliche Entnahme von jüngeren Bäumen geringerer potenzieller Holzqualität wurde die spätere Ausprägung von Mikrohabitaten bislang oft eingeschränkt (Winter et al. 2016).
  • Habitatbäumen an Waldrändern soll besondere Beachtung geschenkt werden, da gewisse Mikrohabitatypen wie Saftflüsse oder Spalten und Risse dort besonders häufig vorkommen (Ouin et al. 2015).
  • Es sollen Mischbestände inklusive Nebenbaumarten gefördert werden, da nicht alle Baumarten dieselben Mikrohabitate tragen und Nebenbaum- und Pionierarten wesentlich zur Vielfalt von Mikrohabitaten beitragen (Larrieu, Cabanettes et al. 2014).

Auf forstbetrieblicher Ebene sollen zusätzlich gesamte Waldbestände aus der Nutzung genommen werden, so dass die Bäume dort ihren natürlichen Lebenszyklus durchlaufen können und sowohl altern als auch zerfallen dürfen. Naturwaldreservate (Prozessschutzflächen) und Altholzinseln (in Deutschland auch Waldrefugien genannt) sind zwei für die Erhaltung von Habitatbäumen geeignete Instrumente. Solche Flächen sollen über mehrere Waldentwicklungsphasen bestehen bleiben und nicht nur temporär ausgeschieden werden (Larrieu et al. 2017). Altholzinseln sind meist nur wenige Hektar gross und werden oft als Trittsteinbiotope zwischen grösseren Waldschutzgebieten empfohlen. Um ein funktionstüchtiges Netzwerk aus Altholzelementen zu erhalten, müssen grössere und kleinere stillgelegte Waldflächen durch eine qualitativ hochwertige Matrix bewirtschafteter Bestände mit Habitatbäumen ergänzt werden.

Links und Dokumente

  • Bütler, R., Lachat, T., Larrieu, L., Paillet, Y. 2013. Habitatbäume: Schlüsselkomponenten der Waldbiodiversität, pp. 86-95. In: Kraus D., Krumm F. (Hrsg.) 2013. Integrative Ansätze als Chance für die Erhaltung der Artenvielfalt in Wäldern. European Forest Institute. 300 S.
  • Bütler, R. and Lachat, T. 2009. Wälder ohne Bewirtschaftung: eine Chance für die saproxylische Biodiversität. Schweiz. Z. Forstwes. 160:324-333.
  • Courbaud, B., Pupin, C., Letort, A., Cabanettes, A. and Larrieu, L. 2017. Modelling the probability of microhabitat formation on trees using cross-sectional data. Methods in Ecology and Evolution 8, 1347–1359.
  • Emberger, C., Larrieu, L., Gonin, P. 2016. Dix facteurs clés pour la diversité des espèces en forêt. Comprendre l’Indice de Biodiversité Potentielle (IBP). Paris, Institut pour le développement forestier. 58 p.
  • Imesch N., Stadler B., Bolliger M., Schneider O. 2015: Biodiversität im Wald: Ziele und Massnahmen. Vollzugshilfe zur Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt im Schweizer Wald. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Vollzug Nr. 1503: 186 S.
  • Kraus, D., Bütler, R., Krumm, F., Lachat, T., Larrieu, L., Mergner, U., Paillet, Y., Rydkvist, T., Schuck, A., und Winter, S., 2016. Katalog der Baummikrohabitate – Referenzliste für Feldaufnahmen. Integrate+ Technical Paper. 16 S.
  • Larrieu, L.; Paillet, Y.; Winter, S.; Bütler, R.; Kraus, D.; Krumm, F.; Lachat, T.; Michel, A.K.; Regnery, B.; Vanderkerkhove, K., 2018: Tree related microhabitats in temperate and Mediterranean European forests: a hierarchical typology for inventory standardization. Ecological Indicators, 84: 194-207.
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  • Winter, S., Begehold, H., Herrmann, M., Lüderitz, M., Möller, G., Rzanny, M., Flade, M. 2016. Praxishandbuch – Naturschutz im Buchenwald. Naturschutzziele und Bewirtschaftungsempfehlungen für reife Buchenwälder Nordostdeutschlands. Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Brandenburg. 186 S. ISBN 978-3-00-051827-0.