Umsetzungskonzept des Bundesamts für Umwelt BAFU

Der Wald hat eine grosse Bedeutung für die Erhaltung der Biodiversität in der Schweiz. Es gibt jedoch Defizite wie die Untervertretung von Waldflächen mit natürlicher Entwicklung, der Mangel an Alt- und Totholz, eine Vielzahl von gefährdeten Arten oder eine heute noch ungenügende Ausscheidung von Waldreservaten. Zur Behebung der Defizite hat der Bundesrat in der Waldpolitik 2020 (2013) und in der Strategie Biodiversität Schweiz (2012) die strategische Stossrichtung festgelegt. Die Vollzugshilfe zur Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt im Schweizer Wald (Imesch et al. 2015) und der Aktionsplan Strategie Biodiversität (2017) konkretisieren die Vorgaben des Bundesrates. Dazu wurden in sechs Massnahmenbereichen Handlungsziele mit dem Zeithorizont 2030 definiert. Die darin gesetzten Ziele sollen mittels leistungsorientierten Vierjahres-Programmvereinbarungen zwischen Bund und Kantonen erreicht werden. Die aktuelle Vertragsperiode läuft von 2020 bis 2024.

Die Defizite und Handlungsoptionen im Bereich Totholz und Habitatbäume:

Beschreibung der nationalen Handlungsziele pro Massnahme bis 2030

Massnahmenbereich 1: Zulassen der natürlichen Waldentwicklung

  • In den Reservaten sind die Wälder der Schweiz angemessen vertreten.
  • Besonders geschützt sind die aus gesamteuropäischer Sicht sowie die in der Schweiz seltenen oder gefährdeten Tiere, Pflanzen und Waldgesellschaften.
  • Unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten bestehen 30 Grossreservate über 500 ha.
  • 5 % der Waldfläche sind Naturwaldreservate.

Weitere nationale Handlungsziele:

  • In jeder Wirtschaftsregion ist mindestens 1 Grossreservat >500 ha eingerichtet.
  • Für die Gewährleistung der natürlichen Entwicklung aller Waldphasen innerhalb eines Reservats sind vermehrt Naturwaldreservate >20 ha ausgeschieden.

Massnahmenbereich 2: Förderung von Alt- und Totholz

  • Zur optimalen Förderung von Alt- und Totholz ist folgendes Ziel zu erreichen:
    • 2 Altholzinseln/km² und 3–5 Habitatbäume/ha.
    • Den Kantonen steht es frei, auf die aktive Förderung von Habitatbäumen zu verzichten. Ist dies der Fall, gilt die Zielsetzung von 3 Altholzinseln/km².
    • Diese Zielwerte gelten für Waldflächen ausserhalb des Schutzwaldes und ausserhalb von schon bestehenden Waldreservaten und anderen Biodiversitätsförderflächen. Die Zielwerte für Altholzinseln gehen von einer durchschnittlichen Grösse von 1 ha aus und entsprechen somit 2–3 % der für die Zielwerte relevanten Waldfläche.
  • Gemäss Waldpolitik 2020 sind folgende Zielwerte bezüglich Totholzvolumen definiert
    • Jura, Mittelland, Alpensüdseite: 20 m³/ha
    • Voralpen, Alpen: 25 m³/ha.
  • Zur Erreichung dieser Zielwerte leistet die indirekte Förderung über Waldreservate, Altholzinseln und Biotopbäume einen wichtigen Beitrag. Ebenso von Bedeutung sind kantonale Totholzförderinitiativen, natürliche Ereignisse (z. B. Stürme) sowie das Liegenlassen von Ernteresten.
  • Die Kantone entwickeln – wo nicht schon geschehen – entsprechende Konzepte, die aufzeigen:
    • wie die Ziele erreicht werden können,
    • welcher Förderansatz bevorzugt wird – für den ganzen Kanton oder differenziert nach Umsetzungsgebiet,
    • wie die Vernetzung gesichert und
    • wie die längerfristige Sicherung (z. B. über frühzeitige Auswahl von potentiellen Habitatbäumen) dieser Förderelemente gewährleistet werden kann.
  • Fehlende Aspekte sind in bestehende kantonale Konzepte zu integrieren.
  • Die Ausbildung und Weiterbildung zum Thema Alt- und Totholzförderung ist verstärkt, insbesondere auch bei der Schutzwaldpflege.
  • Die Waldeigentümer und die breite Öffentlichkeit sind zur ökologischen und kulturellen Bedeutung von Habitatbäumen und Totholz sensibilisiert.

Flächenbeiträge des Bundes

Der Bund gibt den Kantonen einen Beitrag für die Erreichung der Ziele der Programmvereinbarung. Der Bundesbeitrag für das Programmziel 1 „Langfristiger Schutz von Waldfläche und Bäumen mit besonderen Naturwerten“ in einem kantonalen Programm für neu ausgeschiedene Waldreservate, Altholzinseln oder Habitatbäume, ist in folgender Tabelle ersichtlich.

Indikatoren für Leistung und Qualität

Leistungs-Indikatoren

Die Programmvereinbarung wird über die Fläche (Anzahl Hektaren) von neu ausgeschiedenen Naturwaldreservaten und Altholzinseln respektive die Anzahl geförderter Habitatbäume abgeschlossen.

Qualitäts-Indikatoren

Waldreservate:

  • Waldfläche mit hohem Naturwert. Kriterien dafür sind u.a.: Vorkommen von National prioritären Waldgesellschaften in naturnaher Bestockung; Hotspots von National prioritären Tier- und Pflanzenarten; grosse Standortsvielfalt mit besonderen Lebensräumen; lange ununterbrochene Waldtradition (Habitatkontinuität); lange extensive oder fehlende Nutzung; hohes Bestandesalter; hoher Alt- und Totholzanteil. Ein Waldreservat hat mindestens eines dieser Kriterien zu erfüllen.
  • Grösse. In der Regel ≥5 ha (wenn möglich bei NWR ≥20ha). Für den Schutz von nur kleinflächig vorkommenden seltenen Waldgesellschaften und von bestimmten prioritären Arten sind auch Reservate unter 5 ha sinnvoll; besonders bei Naturwaldreservaten sind aber grosse Objekte über 100 ha anzustreben, um einen umfassenden Prozesschutz sicherzustellen.
  • Rechtliche Sicherung. Waldreservate müssen behörden- und eigentümerverbindlich gesichert sein (in der Regel mit einem Vertrag auf ≥50 Jahre; bei Sonderwaldreservaten auch auf 25 Jahre mit Verlängerungsoption).
  • Dokumentation. Von jedem Reservat wird die genaue Fläche erfasst (Geometrie) und eine Dokumentation erstellt, die auch eine Standortskartierung enthält (Waldgesellschaften). Der Kanton übermittelt dem BAFU periodisch die Geodaten der Reservate gemäss speziellem Konzept (Geodatenmodell Waldreservate: ID 160.1).

Altholzinseln:

  • Naturnaher Bestand in fortgeschrittener Entwicklung. Der Bestand bzw. die Baumgruppe ist mindestens so alt wie die im betreffenden Waldtyp übliche Umtriebszeit.
  • Grösse. In der Regel ≥1 ha. Diese Fläche ist notwendig, damit die Funktionalität von Altholzinseln (Habitat, Vernetzung) gewährleistet ist. Aber auch kleiner Flächen (minimal 0,2 ha) können zielführend sein, z. B. in Auernwäldern.
  • Rechtliche Sicherung. Altholzinseln werden behörden- und eigentümerverbindlich gesichert (wenn möglich mit Vertrag auf ≥50 Jahre, oder auf 25 Jahre mit Verlängerungsoption).

Habitatbäume:

  • BHD ≥50 cm (Laubholz) bzw. ≥70 cm (Nadelholz) oder:
  • Besondere ökologische Merkmale. Der Baum weist mindestens eines der folgenden Biotop-Merkmale auf: Höhlen, Totäste, Stammbrüche, Stammfäulen, Blitzschäden, Rindenschürfungen und -taschen, Risse und Spalten, Frassspuren, Pilzkonsolen, starker Moos-, Flechten- oder Efeubewuchs, besondere Wuchsform, z. B. stark gekrümmter Stamm, Bruthöhlen und Horste von Vögeln, insbesondere von National Prioritären Arten.
  • Langfristige Sicherung. Es ist eigentümerverbindlich sichergestellt, dass der Baum bis zu seinem natürlichen Zerfall im Bestand verbleibt (z. B. mittels Markierung im Bestand, Einzeichnung in Karte, GPS). Muss der Biotopbaum aus Sicherheitsgründen vorzeitig gefällt werden, bleibt er als liegendes Totholz im Bestand.

Links und Dokumente

  • www.waldreservate.ch
  • Waldreservate (Bundesamt für Umwelt BAFU)
  • Bundesamt für Umwelt BAFU (Hrsg.) 2018: Handbuch Programmvereinbarungen im Umweltbereich 2020–2024. Mitteilung des BAFU als Vollzugsbehörde an Gesuchsteller. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Vollzug Nr. 1501: 294 S.
  • Bütler, R., Lachat, Th. & Schlaepfer, R. (2006): Saproxylische Arten in der Schweiz: ökologisches Potenzial und Hotspots. Schweiz. Z. Forstwes. 157 (2006)6: 208-216.
  • Bütler, R., Lachat, Th. & Schlaepfer, R. (2006): Förderung von saproxylischen Arten: Massnahmen, Zielkonflikte und offene Fragen. Schweiz. Z. Forstwes. 157 (2006)6: 217-226.
  • Bütler, R., Lachat Th. & Schlaepfer, R. (2005): Grundlagen für eine Alt- und Totholzstrategie der Schweiz. Interner Projektbericht der EPF Lausanne, im Auftrag des BAFU, 100 Seiten.
  • Bütler, R. & Schlaepfer, R. (2003): Wie viel Totholz braucht der Wald? Schweiz. Z. Forstwes. 155 (2004)2: 31-37.
  • Gilg, O. (2005): Old-Growth Forests. Characteristics, Conservation and Monitoring. Atelier Technique des Espaces Naturels (ATEN) Montpellier F, Technical Report N°74; 96 p. (Franz. Originalversion 2004).
  • Imesch N., Stadler B., Bolliger M., Schneider O. 2015: Biodiversität im Wald: Ziele und Massnahmen. Vollzugshilfe zur Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt im Schweizer Wald. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Vollzug Nr. 1503: 186 S.
  • Indermühle, M., Kaufmann, G. & steiger, P. (1998): Konzept Waldreservate Schweiz. Büro IMPULS im Auftrag des BUWAL, interner Schlussbericht des Projektes "Reservatspolitik" des BUWAL; 102 S. plus Karten und Anhänge.
  • Lachat, T., Brang, P., Bolliger, M., Bollmann, K., Brändli, U.-B., Bütler, R., Herrmann, S., Schneider, O., Wermelinger, B. 2014. Totholz im Wald. Entstehung, Bedeutung und Förderung. Merkbl. Prax. 52: 12 S.
  • Schiegg Pasinelli, K. & Suter, W. (2000): Lebensraum Totholz. Merkblatt für die Praxis Nr. 33 der WSL Birmensdorf; 6 Seiten.
  • Stadler, B. & Bolliger, M. (2007): Aktionsplan „Ausweisung von Waldreservaten in der Schweiz“; Bundesamt für Umwelt BAFU, Bern.
  • Winter, S. & Möller, G.C. (2008) Microhabitats in lowland beech forests as monitoring tool for nature conservation. Forest Ecology and Management, 255,1251–1261.
  • Winter, S., Begehold, H., Herrmann, M., Lüderitz, M., Möller, G., Rzanny, M., Flade, M. 2016. Praxishandbuch – Naturschutz im Buchenwald. Naturschutzziele und Bewirtschaftungsempfehlungen für reife Buchenwälder Nordostdeutschlands. Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Brandenburg. 186 S. ISBN 978-3-00-051827-0.